Dienstag, 3. Januar 2012

Der Versuch, das zu beschreiben was nicht zu beschreiben ist


Es ist schwer die passenden Worte zu finden, zu erklären und zu beschreiben wie es ist, wenn man hautnah eine Naturkatastrophe miterlebt. Wenn man nicht vor dem Bildschirm sitzt und den Kanal wechseln kann. Wir sitzen dieses Mal nicht im Sessel vor dem Fernseher, wir stehen in Häusern ohne Dächer und klettern über umgestürzte Bäume. Dieses Mal können wir die Mattscheibe nicht ausschalten, wir können allenmals blinzeln.

Es ist der 02.01.2012 und es sind vier Tage vergangen, seitdem der Zyklon „Thane“ über Pondicherry und Umgebung gefegt ist. Nur langsam erschließt sich das Ausmaß der Katastrophe, Tag für Tag neue und schreckliche Bilder.
Es fing Donnerstag Nacht an, gegen elf Uhr fiel der Strom aus, so weit nichts Ungewöhnliches für Indien. Wir wurden über die Wettervorhersage informiert und schlafen ein, doch schon nachts werden wir wach von den zahlreichen Schlägen und krachenden Bäumen und bemerken, dass unsere Wohnung zum Teil unter Wasser steht.

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Das war der Blick aus unserer Haustür am Freitagmorgen.

Den folgenden Tag müssen wir gezwungenermaßen im Apartment verbringen. Die Straßen stehen bis knöcheltief unter Wasser und es regnet und stürmt weiterhin. Auch der Strom bleibt fern, sodass nach einiger Zeit auch kein fließendes Wasser mehr zur Verfügung steht. Waschbecken, Dusche und Toilette werden zu Luxusartikeln und man verzichtet, wo es nur geht.
Zunächst haben wir noch unseren Spaß am Lesen und am Filmegucken, doch schon bald hat der Laptop keinen Akku mehr, die MP3- Player- Batterie neigt sich dem Ende zu und auch per Handy ist man irgendwann nicht mehr zu erreichen. Ab sechs Uhr abends wird es dunkel und mit einer einzigen Kerze lässt es sich auch leider auch nicht mehr lesen.
Kurz und knapp, uns begegnet vorallem eins: Langeweile.

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Auch am zweiten Tag keine Verbesserung: Wir bleiben fast den ganzen Tag im Haus.
Abends dann doch ein Versuch ins Office zu kommen, auch dort kein Strom. Auf dem Weg dahin trauen wir unseren Augen nicht. Die ältesten und schönsten Bäume Pondicherry‘s wurden durch den Sturm entwurzelt, Reklame liegt in Fetzen auf der Straße und das Verwunderlichste: Fast niemand ist unterwegs, die Stadt scheint menschenleer, alles suchen den Schutz des eigenen Hauses.

Am darauf folgenden Tag sehen wir noch mehr umgefallene Bäume, größeres Chaos, zerstörte Infrastruktur und weiterhin ist kein Strom und kein Wasser in Sicht.

Am vierten Tag nach dem Unwetter klopft es morgens gegen 5 Uhr heftig an unsere Tür. Wir begreifen nicht was passiert, sind im Halbschlaf und öffnen die Tür. Unsere Aunty und Alphons, die Nachbarn sagen uns, dass wir sofort aus dem Haus kommen sollen. Wir verstehen nicht warum, beeilen uns aber und auf der Straße werden wir informiert: Es soll ein Erdbeben geben. Wir sind völlig geschockt und wissen nicht, wie wir reagieren sollen, denn in Deutschland sind wir nicht mal annähernd solchen Problemen begegnet. Wir sitzen mit den Nachbarn auf der Straße, warten ab, es ist dunkel, nichts passiert. Immer mal kommt einer der Nachbarsjungen und versucht Informationen zu überbringen. Nach schätzungsweise einer halben Stunde der Ungewissheit stellt sich heraus, dass es zum Glück eine Fehlwarnung war und das Erdbeben in Japan und nicht in Indien stattgefunden hat. Wir sind erleichtert und können uns noch mal für ein paar Stunden hinlegen.

Gegen Mittag wurden die Highways rund um Pondicherry größtenteils geräumt, der Weg nach Cuddalore, in die am stärksten betroffene Region ist frei und zusammen mit zwei REAL- Mitarbeitern fahren wir in Fischerdörfer, um die Lage zu sehen und zu dokumentieren.

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Die festen Häuser haben den Zyklon weitesgehend unbeschadet überlebt, die Mehrheit der Fischer leben allerdings in Strohhütten, welche dem Sturm nicht standhalten konnten.

Wir kommen an und wir wissen nicht, wo man mit Hinsehen anfangen soll: Bei den umgefallenen Strommasten? Bei den von Bäumen zertrümmerten Häusern? Bei den weggewehten Strohhütten? Oder bei den unzähligen Fischerbooten, die durch die Wellen ins Landesinnere geschwemmt wurden und an den Palmen zerschellt sind? Selbst als wir über Baumstumpfe klettern und uns wegen der tief hängenden Stromkabel bücken müssen, verstehen wir nicht, was vor sich geht.

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Die gesamte Strom- und Wasserversorgung rund um Cuddalore ist zusammengebrochen.

Es kommen klagende Frauen mit eingefallenen Gesichtern auf uns zu, welche mit wilden Gesten und aufgeregten Stimmen auf uns einreden: Sie haben nichts zu Essen, kein Trinkwasser und kein Strom. „Was könnt ihr für uns machen?“, fragen sie uns, und wir haben keine Antwort. Wir wissen es nicht.

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Zyklon “Thane” hat ein zerstörtes Paradies hinterlassen.

IMG_2595 (800x534)Die Szenerie ist irreal, ein Traumstrand mit Palmen, Sonnenschein und Meeresrauschen und unter den Palmen Fischer, die auf ihren zerstörten Booten sitzen und nicht wissen, was sie tun sollen. Ihre Existenz ist zerstört, sie haben nichts, womit sie Geld verdienen können und die Familie ernähren können. Sie wissen nichts mit der Zeit anzufangen, sie sitzen im Schatten und spielen Karten, die Kinder turnen auf den Bootsruinen herum.

Eine Frau bittet uns in ihr Haus, keine Hütte, sondern ein besseres Haus aus Stein. Die Ziegeln sind abgedeckt, es gibt kaum noch Möbel, alles liegt im Schutt vor dem Eingang.

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IMG_2613 (534x800)Und wir, als Freiwillige, wir laufen durch dieses Chaos. Wir sind fassungslos und schweigen zumeist. Wie soll man das erklären? Wir wissen doch nur allzugut von zu Hause, wie es ist wenn man in den Nachrichten von Naturkatastrophen erfährt: Es ist schrecklich, aber es ist weit, weit weg – viel zu weit für unsere Vorstellungskraft.
Es ist schmerzhaft zu erfahren, welche Hoffnung die Menschen in uns sehen. Sie glauben wir haben Geld für sie, wir können ihnen unmittelbar helfen. Aber alles was wir machen können sind Fotos machen und zu versuchen das einzufangen, was wir mit Worten nicht beschreiben können.

Das Schlafzimmer hat kein Dach mehr, alles Ziegel sind heruntergefallen, und trotzdem muss das Leben weitergehen.

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Das ist alles, was die Menschen noch aus den Trümmern ihres Hauses retten konnten: Ein paar Kleider, Schlafmatten und ein Fernseher.

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Es ist die einzige Art und Weise, wie die zerstörten Strommasten noch sinnvoll genutzt werden können: Um die Kleidung zu trocknen, die durch die Regenfälle komplett durchnässt wurden.

Als wir uns nach dem Ausflug dann die Bilder ansehen, sind wir enttäuscht. Es ist einfach nicht begreifbar, lediglich ein paar Pixel, welche nicht annähernd ausdrücken, was wir eigentlich erlebt haben. Und selbst ein Buchband könnte vermutlich nicht beschreiben, was wir am heutigen Tag erlebt haben. Warum wird darüber in Deutschland nicht berichtet? Glaubt uns überhaupt jemand, wenn wir das erzählen? Wie macht man das Geschehene begreifbar? Man will den Menschen zu Hause erzählen, was man erlebt hat- aber egal wie lange man erzählt und beschreibt, der Andere versteht es nicht. Es ist frustrierend aber es ist niemandem übel zu nehmen und man resigniert.

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In solchen Momenten ist man froh, das man das alles nicht alleine erlebt, sondern dass man einen Partner hat, der das Gleiche sieht und fühlt und mit dem man noch lange über das reden kann, was sich sonst wohl niemand so wirklich vorstellen kann.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ihr Lieben -ich (Octavias Mutter) habe eine lang anhaltende Gänsehaut beim Lesen Eures Berichtes und bin dankbar, dass Euch beiden nichts passiert ist - nicht auszudenken, was Eure Eltern durchgemacht haben in Sorge um Euch!
Wir hier in Deutschland haben von diesem Zyklon gehört, aber da war mir noch nicht wirklich bewußt, dass Ihr beide an der Ostküste seid!
Ich bin sehr gespannt zu hören wie die Indische Regierung den betroffenen Menschen helfen wird - ob das überhhaupt geschieht???
Noch nie habe ich einen so erschaudernden Bericht über eine solche Naturkatastrophe gelesen - Ihr beschreibt Eure Ohnmacht sehr gut!
Ist Euer Projekt auch unmittelbar betroffen?
In Gedanken begleite ich Euch und werde mit Spannung Euren Blog verfolgen ( keine Sensationslust, sondern echtes Interesse wie man in Indien mit einer solchen Naturkatastrophe umgeht. Gegen derartige Naturgewalt kann der Mensch nichts ausrichten und es zeigt uns wieder mal wie winzig klein wir sind...
Liebe Grüße aus dem stürmischen Deutschland
Stefani v. Roeder

Renate Tietz hat gesagt…

Ja, Octavias Mutter hat recht.
Gerade eurer persönlicher Bericht bringt einem das Ausmaß für die Betroffenen wirklich nahe. Wir haben auf der KKS Homepage ein Spendenkonto eingerichtet und tun, was wir können!